Überblick
Unter "Shell Companies" versteht die EU-Kommission Rechtsträger, die keine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und insbesondere zu Zwecken der Steuervermeidung missbraucht werden könnten. Allein die Möglichkeit dazu ist bereits ausreichend und soll anhand eines vorgegebenen zweitstufigen "Substanztest" festgestellt werden. Anders als die massgeblich an den Steuersatz anknüpfende globale Mindestbesteuerung fokussiert die ATAD III auf die steuerliche Bemessungsgrundlage. Der Substanztest ist zwingend durchzuführen und dient der Ermittlung von substanzarmen und damit gemäss dem Verständnis des Richtlinienvorschlags risikobehafteten Gesellschaften.
Liegt eine substanzschwache Gesellschaft vor, obliegen dieser nicht nur neue Erklärungspflichten gegenüber der jeweiligen nationalen Steuerverwaltung, sondern ihnen wird der Anspruch auf weitreichende Steuervergünstigungen (wie die der Mutter-Tochter- sowie der Zins- und Lizenzrichtlinie) aberkannt.
Substanztest
Auf der 1. Stufe sollen zunächst potentielle Shell Companies anhand dreier kumulativ zu erfüllenden Eigenschaften identifiziert werden:
1. Die Einkünfte der Gesellschaft resultieren zu mehr als 75% aus passivem Einkommen. Dazu zählen neben Zinsen, Lizenzen, Dividenden und Kapitalgewinnen auch Immobilienerträge sowie sonstige Erträge aus finanziellen Vermögenswerten einschliesslich Kryptowerten.
2. Die Gesellschaft ist grenzüberschreitend tätig. Dies ist erfüllt, wenn die Buchwerte des im Ausland belegenen unbeweglichen sowie des nicht betrieblichen Zwecken dienenden beweglichen Vermögens (mit Ausnahme von Barmitteln, Anteilen oder Wertpapieren) in den beiden vorangegangenen Jahren mehr als 60% des Unternehmensvermögens ausgemacht haben oder wenn Einnahmen zu mindestens 60% aus grenzüberschreitenden Strukturen erzielt wurden.
3. Das Management der Gesellschaft wurde in Bezug auf die Entscheidungsfindung bezüglich wesentlicher Unternehmensfunktionen sowie des Tagesgeschäftes in den vorangegangenen zwei Jahren ausgelagert. Die Auslagerung von Nebendienstleistungen (wie z.B. der Buchhaltung), während die Kerntätigkeiten beim Unternehmen verbleiben, wird für sich genommen als unschädlich beurteilt.
Da regelmässig sowohl die Art der Einkünfte als auch eine grenzüberschreitende Tätigkeit immanenter Bestandteil eines Geschäftsmodells oder unmittelbar mit dem Gesellschaftszweck verbunden sind, wird der Fokus mutmasslich auf dem dritten Kriterium liegen. Gleichwohl kann aber auch die 60%-Grenze von einer gewissen Relevanz sein.
Der Entwurf geht davon aus, dass gerade substanzschwache Unternehmen, die nicht über ausreichend eigene Ressourcen verfügen, dazu neigen, Dritte mit der Erbringung von Verwaltungs-, Management-, Korrespondenz- und rechtlichen Dienstleistungen zu beauftragen oder Verträge mit verbundenen Unternehmen über solche Dienstleistungen zu schliessen, um eine rechtliche und steuerliche Präsenz zu begründen und aufrechterhalten zu können.
Unbestimmt ist u.a. bislang noch der Grad einer gerade noch unschädlichen Auslagerung sowie die Frage, wie der Kriterienkatalog und im Besonderen das dritte Kriterium hinsichtlich ihres zeitlichen Anwendungsbereichs ausgestaltet werden wird.
Kommt die Regelung wie geplant zum 1.1.2024 zur Anwendung, könnte dies zu einem Rückgriff der
Melde-, Nachweis- und Dokumentationspflichten bis zum 1.1.2022 führen. Für potentiell betroffene Strukturen und Gesellschaften ist bereits heute Handlungsbedarf angezeigt.
Werden die Kriterien auf erster Stufe erfüllt, sind die zur ersten Stufe gehörenden Anwendungsbereichsausnahmen zu prüfen. Ausgenommen sind u.a.:
- börsennotierte Gesellschaften
- beaufsichtigte Finanzunternehmen
- reine Inlandsstrukturen
- Rechtsträger, die mindestens über fünf eigene Beschäftige (Vollzeitäquivalente) oder über Beschäftigte verfügen, die ausschliesslich derjenigen Tätigkeiten ausüben, die die relevanten Einkünfte generieren.
- Investmentfonds (OGAW, AIF und AIFM) und bestimmte Verbriefungsgesellschaften, Schwarmfinanzierer und Anbieter von Krypto-Dienstleistungen.
Kann keine Anwendungsbereichsausnahme beansprucht werden, besteht gegenüber der nationalen Steuerverwaltung eine jährliche Informationspflicht, die die Grundlage für die 2. Stufe des Substanztests bildet. Der Informations- und Nachweispflicht ist über zusätzliche Angaben in der Steuererklärung des Rechtsträgers nachzukommen. Nachzuweisen ist u.a.
1. die Nutzung eigener oder exklusiv genutzter fremder bzw. angemieteter Flächen
2. mindestens ein eigenes aktiv genutztes Bankkonto bei einer innerhalb der EU ansässigen Bank
3. die steuerliche Ansässigkeit und Qualifikation der Arbeitnehmer und mindestens eines Mitglieds der Geschäftsleitung.
Das vorstehende dritte Kriterium ist dann erfüllt, wenn entweder
- ein Mitglied der Geschäftsleitung im Mitgliedsstaat des Rechtsträgers oder grenznah zu diesem steuerlich ansässig ist, qualifiziert und befugt ist, Entscheidungen in Bezug auf die Vermögenswerte des Unternehmens oder in Bezug auf die Tätigkeiten zu treffen, die relevante Einkünfte für das Unternehmen erwirtschaften und dies auch regelmässig tut und bei keinem verbundenen Unternehmen beschäftigt ist oder gleichwertige Funktionen in anderen Unternehmen ausübt, die keine verbundenen Unternehmen des Rechtsträgers sind
oder
- die Mehrheit der als Vollzeitäquivalente beschäftigten Arbeitnehmer des Rechtsträger steuerlich im selben Mitgliedsstaat oder zumindest grenznah zu diesem ansässig sind und diese für die Ausübung der Tätigkeiten, die die relevanten Einkünfte für das Unternehmen generieren, qualifiziert sind.
Werden die drei vorgenannten Kriterien nicht erfüllt bzw. können diese nicht nachgewiesen werden, wird widerlegbar vermutet, dass es sich um eine substanzschwache Gesellschaft handelt.
Gegenbeweis
Die Vermutung einer substanzschwachen Gesellschaft kann durch einen Nachweis darüber widerlegt werden, dass wirtschaftliche Gründe und nicht die Erlangung eines Steuervorteils für die Einschaltung der Gesellschaft ursächlich sind (Principle-Purpose-Test). Kann der Gegenbeweis erfolgreich erbracht werden, ist er alle fünf Jahre zu erneuern.
Rechtsfolgen
Können die drei Kriterien der 2. Stufe nicht erfüllt werden und gelingt der Principle-Purpose-Test nicht, treten folgende Rechtsfolgen ein:
- Die Ansässigkeit des Rechtsträgers wird von allen anderen Mitgliedsstaaten, in denen der Rechtsträger nicht ansässig ist, steuerlich nicht anerkannt, mit der Folge, dass sämtliche DBA und bestimmte EU-Richtlinien (insb. Mutter-Tochter- und die Zins- und Lizenzen-Richtlinie) nicht mehr anwendbar sind.
- Die Mitgliedstaaten stellen Ansässigkeitsbescheinigungen nicht mehr oder nur noch mit dem Hinweis aus, dass die betroffene Gesellschaft keinen Anspruch auf die Vorteile unter einem DBA oder einer Richtlinie hat.
- Der Ansässigkeitsstaat des Anteilseigners besteuert das Vermögen sowie die Einkünfte des Rechtsträgers so als habe er das Einkommen der Gesellschaft selbst erzielt. Ist ein Anteilseigner nicht in einem Mitgliedsstaat ansässig, kommt im Mitgliedstaat der Einkunftsquelle ungeachtet von DBA oder der vorgenannten EU-Richtlinien dessen nationales Quellensteuerrecht zur Anwendung.
Ausweitung des automatischen Informationsaustauschs
Erfüllt ein Rechtsträger den zweistufigen Substanztest nicht, ist der betroffene Rechtsträger aufgrund des lediglichen Anscheins, dass dieser nicht über die minimal erforderliche Substanz verfügt, im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs gegenüber den EU-Finanzbehörden zu melden und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich ein substanzschwacher Rechtsträger vorliegt oder diese Vermutung durch einen Gegenbeweis widerlegt werden konnte. Ob dem Rechtsträger eine erfolgreiche Nachweisführung gelang, wird ebenfalls übermittelt.
Durch dieses Vorgehen soll sichergestellt werden, dass alle Mitgliedstaaten rechtzeitige Kenntnis von dem ausgeübten Ermessen der jeweils anderen nationalen Steuerbehörde und den Gründen für jede einzelne Bewertung erhalten können. Die Mitgliedstaaten sollen den Mitgliedstaat des Rechtsträgers zudem auch zur Durchführung von Steuerprüfungen auffordern können, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass dem Rechtsträger möglicherweise eine minimale Substanz im Sinne der Richtlinie fehlt.
Implikationen für die Praxis
Die Richtlinie befindet sich derzeit im Abstimmungsprozess zwischen den Mitgliedsstaaten. Änderungen im Gesetzgebungsprozess sind daher erwartbar und mit Blick auf die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe des derzeitigen Richtlinienentwurfs, die im Besonderen die entscheidenden Kriterien des Substanztest auf 1. und auch 2. Stufe betreffen, auch zu begrüssen. Die Auslegung der interpretationsbedürftigen Rechtsbegriffe obliegt ansonsten der steuerpolitischen Auslegung der einzelnen Mitgliedsstaaten. Gleichwohl ist nicht anzuraten, mit einer gewissen Disharmonie der nationalen Anwendungsmodi zu kalkulieren, da diese infolge des Informationsaustauschs der Gegenprüfung durch weitere Mitgliedsstaaten offensteht. Vielmehr ist angezeigt, potenziell betroffene Rechtsträger und Strukturen auf mögliche Auswirkungen zu analysieren und entsprechende Vorkehrungen zu treffen.
Nicht ausgeschlossen ist, dass die geplante Richtlinie noch politisch scheitern oder zumindest im Interesse bestimmter EU-Mitgliedsstaaten an entscheidenden Stellen aufgeweicht werden wird, worauf erste Stellungen aus den Ausschüssen des europäischen Parlaments hindeuten.
Ausblick
Der Richtlinienentwurf setzt den seit Jahren anhaltenden Trend immer höher werdender Steuercompliance-Anforderungen für grenzüberschreitende Sachverhalte fort, die im Ergebnis gerade im Vergleich zu rein national gestaltbaren Sachverhalten aufgrund des sukzessiv steigenden Compliance-Aufwands und Ausmasses an Rechtsunsicherheit an Attraktivität verlieren.
Wir empfehlen daher internationale Sachverhalte rechtzeitig auf potenzielle Auswirkungen und entsprechende Reaktionsmöglichkeiten zu prüfen. Dazu kann auch gehören, materielle und personelle Substanz zu bündeln und mithilfe eines bestandenen Substanztests die steuerliche Anerkennung im jeweiligen Ansässigkeitsstaat zu "zementieren".
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, internationale Strukturen auf ein sog. Onshoring zu prüfen, damit es nach erfolgter Restrukturierung eine reine Inlandstruktur ist.
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